Das erste Mal mit den Thema Malbuch für Männer kam ich in Kontakt während meines USA-Aufenthaltes im November 2015. Die 63-jährige Mutter der Freundin, welche in in Rapid City in South Dakota (dem Arsch der Welt) besuchte, saß eines abends nach dem Essen an ihren dunklen Holzesstisch und begann akribisch Ihre Malstifte neben das Buch im A4-Format zu legen. Ich wurde stutzig, wollte wissen was sie jetzt vorhatte. Eine 63-jährige Frau im besten Alter, die viel Zeit im Kirchenchor verbringt und nebenbei noch Immigrantenkindern Englisch und Schwimmen beibringt.
Ich starrte weiter auf das, was gerade vor mir passierte. Sie schlug eine der hinteren Seiten auf – anscheinend hatte sie schon viele Seiten vollgemalt. Jetzt widmete sich sich mit viel Hingabe dem Kolibri, der ganz in Schwarz gehüllt nur vom Papier aus schrie, endlich mit Leben – und Farbe – gefüllt zu werden. Ich schaute dem tiefen Arbeitsvorgang zu, um nach einigen Minuten Ihrer Muße nachzufragen und mehr darüber zu lernen.
“Ich mache das jetzt schon seit einigen Monaten. Es lässt mich einfach entspannen, und die Motive sind so schön! Look at this Andy, isn’t this cat lovely?”. Ich antwortete zögernd mit einem kurzen und männlich-distanzierten “Yes, quite nice”.
Sind wir mal ehrlich, es gibt nicht viele Männer, die mit dem Thema “Katzenumrisse ausmalen” auf einer guten Gesprächs- und Gefühlsebene wären. Dazu wurden wir – obwohl wir Mittelschichtsmänner aus dem Westen ja anscheinend viel zu soft und weiblich erzogen worden sind – irgendwie nicht gemacht. So dachte ich in diesem Moment der stillen Bewunderung für die Hingabe von Becky hin zu einer mir bislang trivial geltenden Freizeitgestaltung.
“You should try it yourself, it relaxes you a lot”, sagte Becky nachdem ein paar weitere Minuten vergangen waren. “Come on, just do it, sit down”, wurde ich jetzt angewiesen. Ich, ein 32-jähriger Mann mit mittlerweile adäquatem Bartwuchs wurde nun beordert, dieser mir komisch erscheinenden Tätigkeit nachzugehen. Doch gleich sollte es geschehen – meine erste Begegnung der dritten Art mit Malbüchern für Erwachsene.
“You should try it yourself, it relaxes you a lot”
Ich fügte mich Ihren Worten, setzte mich hin, und begann eine aus ihrem Buch für mich herausgerissene Seite mit einer Art zackigen Wellen auszumalen. Ich nahm einen Stift und begann, einfach darauf los zu kolorien – eine Welle nach der anderen. Dann wurde ich mutiger, nahm eine andere Farbe, malte mal mit mehr Druck, mal mit weniger. Nach ein paar Minuten hatte ich alles um mich herum vergessen und versank in dieser mir mittlerweile positiv erscheinenden Erfahrung des “einfach was ausmalens”.
Mein Fokus wurde immer stärker und ich versank zunehmend in der Erfahrung der einfachen Malmuse. Das hätte ich nicht erwartet. STOP, jetzt beginne ich zu lügen. Es hätte mir gefallen, wenn es so gewesen wäre, also dass es mich wirklich entspannt und ich mich viel besser gefühlt hätte. Ich konnte dem Zeichnen leider nicht soviel abgewinnen, also dem Ausmahlen. Ansonsten habe ich schon oft Bilder in Aquarell gemalt. Ich habe einfach begonnen, mir irgendeine Farbe genommen und wild drauflos gemalt – meistens ohne eine Idee, was jetzt gerade entstehen sollte. Mein Krisendeeskalationsprogramm ist folgendes und mit zunehmender Panik weiter nach unten gespielt:
- Über mein Problem mit einem Freund sprechen
- Aufschreiben in ein Notizbuch, meistens Moleskine
- Nochmal mit einem Freund drüber sprechen
- Malen
Richtig gelesen, also wenn gar nichts mehr geht, dann fange ich an zu malen. Nicht weil ich ein besonders begabter Künstler wäre, sondern weil Malen eine Form von intuitiver Psychotherapie ist. Ohne Couch, ohne Therapeuten, ohne das Unbewusste und ohne 100 Euro die Stunde danke bis nächste Woche Frau Therapeutin.
Als philosophisch und psychologisch vorbelasteter Typ stellte ich mir nun einige Fragen. Warum finden gestandene Menschen gefallen an etwas so trivialem? Warum malt man etwas aus, um es später wahrscheinlich nie mehr anzusehen? Warum ist gerade die offensichtliche Sinnlosigkeit vielleicht das gerade so spannende an diesem Phänomen?
Was mir am Malbuch für Männer nicht gefällt
Überall im Leben bekommst Du gesagt was Du zu tun hast, das beginnt im Kindergarten, dann kommst Du in die Grundschule, und im Job…fangen wir erst gar nicht an das weiter auszuführen. Auf gut Deutsch, Du musst funktionieren. So läuft das in komplexen Gesellschaften, die nicht mehr vom Ackerbau leben, sondern von Dingen wie Powerpoint-Präsentationen erstellen und Geld im Aktienmarkt herumschieben. Soweit so gut, doch jetzt noch einmal, warum ich Malbücher philosophisch zweifelhaft finde: überall bekommst gesagt was Du zu tun hast, und jetzt sogar beim Malbuch.
Man könnte sich ja einfach hinsetzten und wild drauflos malen, das würde aber bedeuten, dass man ein Risiko eingehen muss – zugegeben, ein eher kleines Risiko im Vergleich zu den Helden dieser Welt, die durch Schlamm waten oder kleine Kinder retten – doch immerhin. Viele Menschen sind nicht einmal so autonom, einen Stift in die Hand zu nehmen und drauflos zu zeichnen oder zu malen. Das sollte doch kein Problem sein, oder? Ich würde gerne das Gegenteil behaupten, doch mir geht es oft genauso. Dabei ist man in guter Gesellschaft, ich erinnere mich an Dali der sagte “wenn ich nur keine Angst vor dem Malen hätte”. Vielleicht ist es gerade die Entspannung für viele Menschen, geführt zu werden und sich keine großen Gedanken zu machen darüber, ob diese gedruckten Kreidestriche nicht unüberwindbar sind.
Ich male, um mir problematische innere Vorgänge deutlicher zu machen – Therapeuten würden sagen, um sie zu symbolisieren. Diese Gedanken schwirren wie eine fette nervige Hummel so lange in meinem Kopf herum, bis ich sie mit den Händen packe und auf Papier bringe. Dann ist sie nicht mehr in meinem Kopf, macht mich nicht mehr nervös und ich kann endlich wieder schlafen – ich habe diese doofe kleine Flugmaschine symbolisiert.
Auf dem Bild ist sie symbolisch wie in einer Fliegenfalle festgemacht und ich kann wieder durchatmen. Doch was, wenn ich statt der Biene nur belanglose Vierecke und Kreise ausmale? Vielleicht hilt das immer noch – man kann ja bei der Farbe (zum Beispiel Rot bei Aggressionen) variieren – viel Platz für echte Kreativität und dem damit verbundenen und kraftraubenden, angstmachenden Horror vor der leeren Seite bleibt da jedoch nicht. Und das ist vielleicht gerade ja gut so.
„Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten ‘unübersteiglichen Schranken’ die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!“
– Lou Andreas-Salomé
Malbuch für Männer: Warum Zeichnen hilft Part 1
Wir leben in einer Welt, in der wir ständig mit meistens nichtigen Informationen bombardiert werden. Wer die Tagesschau abends kuckt, der weiß sicher was ich meine. 300 Tote durch Bombenangriffe im Jemen – na toll, was kann ich denn tun, außer mich nach dieser Meldung die nächsten 10 Minuten schlecht zu fühlen? Das Handy liegt bei mir immer griffbereit, und schon wenn ich nur mit einem Auge wach im Bett liege, checke ich schon meine Emails, denn ich könnte ja was verpassen.
Mir könnte jemand geschrieben haben – eine Frau, ein Job, oder vielleicht eine Mahnung, weil ich schon wieder was vergessen habe zu zahlen, shit. Warum Malbücher für Erwachsene funktionieren in einem kurzen Turbowort?: Fokus. Ich habe es überall schon einmal gehört. Die Franzosen sagen: mach deinen Wagen an einem Fixstern fest, der NLP Coach Tony Robbins spricht davon, seine Ziele zu visualisieren und sich ganz stark darauf zu fokussieren. Auf das was man sich fokussiert, das ist man. Du denkst Du kannst nichts und bist dumm – Du wirst recht haben.
Du denkst Du bist begabt und kannst Berge versetzten. Du hast auch Recht. Denn wer einen Hammer hat, der sieht überall Nägel. Und wer positiv und zuversichtlich ist, der sieht überall Chancen. Zurück zum Fokus jedoch. Die totale Immersion in einer Sache scheint uns glücklich zu machen. Manche nennen den Vorgang auch Immersion.
Cal Newport schreibt in seinem Exzellenten Buch “Deep Work” darüber, wie die meisten Menschen danach (heimlich) lechzen, tiefe Arbeit zu verrichten. Arbeit, die nicht ständig von einem Kollegen oder einem Handy unterbrochen wird, sondern Arbeit, in die wir uns tief tief auf positive Art und Weise “hineinsteigern” können. Er nennt viele Gründe und Studien warum das so ist, und warum die heutige Arbeitswelt auf dem besten Wege ist, dieses menschliche Bedürfnis zunichte zu machen.
Eigene Büros weichen Großraumbüros, welche die Kreativität und die Zusammenarbeit unter den verschiedenen Abteilungen fördern sollen. Doch wer ständig abgelenkt ist, der wird ganz sicher kein Equivalent zur Relativitätstheorie entwickeln. Cal Newport schreibt über einen bekannten Wissenschaftler im Computerbereich, der schon 1975 einen Email-Account hatte.
Auf seiner Universitätswebseite findet man seit 1990 die Meldung, dass er Email recht lange benutzt habe, sich seit 1990 aber dafür entschieden hat, dies zu beenden. Dieser Wissenschaftler nimmt nur die wichtigsten Termine und Gespräche wahr und konzentriert sich sonst, auf das was ihn am produktiven und glücklichsten macht: Deep Work – konzentrierte, fokussierte Arbeit.
Auf zur Revolution – Warum Zeichnen hilft Part 2
Ich rieche eine Mikrorevolution. Die allgegenwärtige Kritik am Kapitalismus ist schon so gängig, dass er mir schon langsam wieder leid tut. Er muss sich sehr unverstanden vorkommen, dabei will er doch alles recht und effizient machen.
Wäre der Kapitalismus ein verstoßener Dobermann im Tierheim, ich würde ihn adoptieren. Doch nehmen wir die Kritik am Kapitalismus doch für einen Moment mal ernst – man wirft diesem System der Waren- und Machtverteilung vor, dass alles, auch zunehmends im privaten Bereich, den ökonomischen Regeln entspricht und dass alles, sogar Brüste und die Haut im Gesicht optimiert werden müssen.
Da scheint es fast schon einer stillen Revolution gleichzukommen, wenn sich Menschen massenhaft einer scheinbar absolut sinnfreien Muße zuwenden. Wenn nur alle nicht mehr zur Arbeit gehen würden und einfach nur noch Bücher ausmalen würden…dann liefen die Druckereien heiß, und die nächsten Milliardäre die uns beherrschen würden wären Malbücher für Erwachsene Autoren oder Verleger. Genug dem Gedankenspiel, vielleicht ist es nicht für jeden sofort greifbar, aber am Genuss daran, etwas offensichtlich “sinnloses” zu tun und sich total darin zu verlieren, ist anscheinend was dran.
Malbuch für Männer: Fazit
Whatever works ist meine Devise. Und wenn Malbücher für Erwachsene einem Menschen dabei helfen, sich besser zu fühlen, dann ist das etwas sehr schönes. Wir haben nur 70, 80, vielleicht 90 Jahre auf diesem Planeten, und warum sich die ganze Zeit lang schinden und geißeln, wenn man es sich auch einmal gut gehen lassen kann und man einen kleinen Moment Freude gewinnen kann durch malen.
Nach 1643 geschriebenen Wörtern kommen mir jetzt die ersten Zweifel – vielleicht habe ich es nicht richtig ausprobiert, vielleicht sollte ich es noch einmal probieren, das Malen für Erwachsene. Ich werde es tun, und darüber berichten, bis dahin, vielen Dank für das Lesen dieses Artikels und eine gute Zeit.
Hier ist eine Auswahl an anderen Büchern für Männer.